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Respektvollere Behandlung von Bürgeranträgen nötig

Gruppe älterer weißer Männer zeigt auf die Tür
Bild erzeugt von Dall-E

Ratsherr Keneth Dietrich kritisiert die herablassende Behandlung des Bürgerantrags zur Nichtverfolgung von Schwarzfahren im Bürger- und Umweltausschuss vom 04.05.2023:

„Wer macht Politik für Menschen? Nicht die Mitglieder des Bürger- und Umweltauschusses, so scheint es zumindest. Wie sonst soll man die gestrige Entscheidung und skandalöse Beratung des Bürgerantrages 2023/2214 „Keine Repression im ÖPNV“ bewerten? Keine der anwesenden Parteien und Einzelpersonen hat sich dabei mit Ruhm beckleckert, sondern die Situation genutzt, um den jugendlichen Petenten vorzuführen. Einzig der parteilose Manfred Schröder, ehemaliges Mitglied unserer kommunalpolitisch aktiven Gemeinschaft, konnte sich zu einer wohlwollenden Stellungnahme und einer Enthaltung durchringen.

Aber worum geht es überhaupt? Kurz gesagt ums Schwarzfahren, beamtiger ausgedrückt um die „Erschleichung einer Beförderungsleistung“ gemäß § 265a StGB. Ja, richtig: Strafgesetzbuch, denn bis heute ist das Schwarzfahren in Deutschland eine Straftat und kann dementsprechend geahndet werden. Mit allen Konsequenzen, die daran hängen, vom Ausschluss von verschiedenen Berufen bis hin zu einer Freiheitsstrafe. Wer dies übertrieben findet, ist in guter Gesellschaft, denn eine Studie von Infratest dimap zeigt, dass gut 2/3 der Menschen in Deutschland das genauso sehen. Auch das öffentlich Rechtliche berichtet immer wieder über den Sachverhalt. 

Ganz anders sieht das der B&U, hier begegnet man dem Vorschlag von einer Strafanzeige abzusehen, – nicht von einer Strafe wohlgemerkt! – mit moralisierender Häme. Die wohl skurrilste Wortmeldung kam dabei von FDP-Politikerin Petra Franke, die von einer „Aushöhlung des Rechtsstaates“ sprach, wobei doch erst kürzlich ihr Parteikollege Volker Wissing die Bundesländer darum bat, von Kontrollen des Sonntagsfahrverbotes für LKWs abzusehen und ihr eigener Bundesjustizminister Marco Buschmann bereits die Herabstufung des Straftatbestands Schwarzfahren prüft. Folgt man der Argumentation der FDP gibt es wohl etwas, das schwerer wiegt als Rechtsstaatlichkeit, und das ist Investorenschutz. 

Aber auch die anderen Parteien ließen kaum ein gutes Haar an der Sache. Für die Grünen bewies Andreas Bokeloh, dass diese sich mit dem Thema nicht auseinandergesetzt hatten. Denn keineswegs ging es bei dem Bürgerantrag darum, kostenlosen Nahverkehr duch die Hintertür einzuführen, was doch eigentlich ein grünes Anliegen sein sollte, sondern darum unnötige Repression und Härte von Menschen abzuwenden, die, aus welchen Gründen auch immer, ohne Fahrschein ein Verkehrsmittel der WUPSI betreten. In trauter Einigkeit zeigten auch die Vertreter von SPD und CDU ihre kalten Herzen, indem Sie bekräftigten, dass man ja wohl wisse, auf was man sich einlässt, wenn man schwarz fährt. Von sozialem Gewissen oder Nächstenliebe keine Spur. Einen Seitenhieb gegen die FDP gab es von der CDU dennoch, denn so wurde sich zumindest bedankt, den rechtsstalichen Weg eines Bürgerantrages beschritten zu haben.

Zuletzt muss Frank Pathe, seines Zeichens Vertreter der Klimaliste öffensichtlich von der „Diskussion“ verwirrt worden sein, denn er warnte davor, das es nicht im Ermessen von kontrollierenden Personen oder anderen Angehörigen des Nahverkehrsunternehmens liegt, was als Straftat zu bewerten ist. Damit beschreibt er allerdings genau die Ist-Situation. Denn momentan liegt es vollig im Ermessen dieser, wann eine Strafanzeige gestellt wird. Dies eröffnet nebenbei auch Tür und Tor für Diskriminierungen.

Im Ergebnis gibt es, wie so oft, keine spürbaren Verbesserungen für die Leverkusener Bürger:innen. Außer einen Verweis auf eine schon im vergangenen Jahr angekündigte Überprüfung des Straftatbestandes durch den Justizminister, nehmen der Petent und vielleicht einige anwesende Unterstützer nur Verdrossenheit aus dem Ausschuss mit. Eine Politikerfahrung, die junge Menschen nur all zu oft machen. Leverkusener Bürger:innen haben ja auch in anderen Bereichen bereits Erfahrung gemacht, wie Bundes- und Landesminister mit Klagen aus der Bevölkerung umgehen. Die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, und die Möglickeiten des Rechtsstaates für materielle Verbesserungen zu nutzen, dafür fehlt vielen Politikern der Mut.“

[1] https://fragdenstaat.de/dokumente/237104-20230316_fragdenstaat_tabs/
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/schwarzfahren-straftat-umfrage-100.html
[3] https://www.youtube.com/watch?v=iWX3pqbidKk
[4] https://www.n-tv.de/politik/Wissing-spricht-sich-fuer-Aufhebung-von-LKW-Sonntagsfahrverbot-aus-article24010394.html
[5] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/marco-buschmann-justizminister-prueft-herabstufung-des-schwarzfahrens-zur-ordnungswidrigkeit-a-a3c0b467-e6cf-456c-8fef-c7125c42cf04
[6] https://twitter.com/Maurice_Conrad/status/1653442042536554496

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