Ein Artikel aus der Flaschenpost von Alexander Raiola
In der Corona-Krise hat das Thema “Bedingungsloses Grundeinkommen” (BGE) wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten. Leider wird die Diskussion auch heute noch viel zu oberflächlich geführt. Obwohl wir dieses Problem bereits mehrfach angesprochen haben, hat sich bis heute in der öffentlichen Debatte leider nicht viel getan. Es werden nach wie vor die üblichen Totschlagargumente verwendet. In diesem Artikel möchte ich mit den bekanntesten Totschlagargumenten aufräumen und dazu anregen, dass die Debatte in Zukunft konstruktiver geführt wird.
Wer soll das bezahlen?
Ein allseits beliebtes Totschlagargument lautet: Das ist doch nicht finanzierbar. Dieses Argument wird häufig bei staatlichen Ausgaben für Umwelt, Gesundheit oder soziale Zwecke angewendet, aber kaum stottert die Wirtschaft, sei es Abwrackprämie oder Bankenrettung, schon ist alles anders und die Ausgaben werden schweigend mit knirschenden Zähnen als alternativlos hingenommen. Waren es bei der Finanzkrise zur Bankenrettung noch Milliarden, geht es in Zeiten von Corona um Billionen. Die Sendung “Die Anstalt” spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten “Diktat der leeren Kassen”. In der Folge “Neoliberalismus” wurde dieser Begriff im Rahmen der Erklärung zur Mont Pelerin Gesellschaft ab Minute 33 sehr schön präsentiert.
Nun kann man einwenden, Krisenhilfen seien einmalig, während ein BGE jedes Jahr finanziert werden müsse. Allerdings ist das zu oberflächlich gedacht, denn während Krisenhilfen in die Taschen der Investoren fließen, die sich über Zinsen und Dividenden immer weiter bereichern und einen Großteil ihres Geldes nie wieder ausgeben, wird ein bedingungsloses Grundeinkommen sehr wohl wieder ausgegeben und fließt daher über Steuern nach und nach an den Staat zurück. Weiterhin haben wir folgende Vorschläge zur nachhaltigen Finanzierung des BGEs in unserem Wahlprogramm festgehalten:
- Vereinheitlichung der Umsatzsteuersätze
- Einführung einer Finanztransaktionssteuer
- Vereinfachung der Einkommensteuer
- Maschinensteuer
Hinzu kommt noch eine drastische Reduktion der Verwaltungskosten, da zum Beispiel die Bedarfsprüfung für Hartz IV wegfällt.
Anmerkung.: Mit Finanztransaktionssteuer meinen wir das, was 2017 noch darunter verstanden wurde, und nicht die Unverschämtheit, die kürzlich von der GroKo eingeführt wurde. Eine gute Finanztransaktionssteuer erschwert den Hochfrequenzhandel und besteuert nicht die Kleinsparer. Die GroKo wollte es aber lieber umgekehrt. Siehe hierzu auch Dirk Müller.
Wer geht denn dann noch arbeiten?
Ein weiteres Gegenargument gegen das BGE lautet: “Dann geht ja keiner mehr arbeiten”. Dieses Argument ist natürlich ernstzunehmen, sollte aber weitergedacht werden, als es bisher in der Regel der Fall ist. Zum Beispiel fordern wir PIRATEN im o.g. Abschnitt unseres Wahlprogramms, das BGE schrittweise einzuführen, in Form eines sogenannten Sockeleinkommens, das zunächst nicht Existenzsichernd sein soll. Würde man also bspw. 400€ pro Monat bedingungslos an alle Menschen auszahlen, so müssten sich dennoch alle Menschen einen Großteil ihres Lebensunterhalts verdienen, könnten aber ggf. den schlechtesten ihrer 400€-Jobs an den Nagel hängen und hätten wieder etwas Luft zum Atmen. In dieser Phase könnten Fakten geschaffen werden, die für eine konstruktive Diskussion darüber benötigt werden, ob Menschen wirklich nicht mehr arbeiten würden, wenn man das Sockeleinkommen erhöhen würde. Basierend auf diesen Diskussionen kann dann entschieden werden, ob und inwieweit das Sockeleinkommen noch gesteigert werden kann und welche sozialen Gelder in das Grundeinkommen überführt werden können zwecks Bürokratieabbau.
Im Grunde ist das Sockeleinkommen die simpelste unter den konstruktiven Lösungen als Antwort auf die Befürchtung, dass mit einem BGE niemand mehr arbeiten ginge. Nur leider bekommen konstruktive Lösungen praktisch keine Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs.
BGE für Reiche?
Auch das Argument, dass reiche Menschen kein BGE benötigen, ist relativ schwach, denn in den vernünftigen Modellen (s.o.) werden reiche Menschen weitaus höher besteuert als heute, so dass das Sockeleinkommen für reiche Menschen mehr als ausgeglichen wird. Man könnte das Thema allerdings auch noch einen Schritt differenzierter betrachten und z.B. über ein Modell nachdenken, das einkommensschwachen Menschen das Einkommen bedingungslos gibt, reichen Menschen nichts gibt und irgendwo im Mittelstand linear interpoliert. Nehmen wir bspw. an, man würde bis 30.000€ Jahresbrutto das Einkommen bedingungslos erhalten, ab 40.000€ gäbe es nichts mehr und dazwischen würde man linear interpolieren. Dann sähe es wie folgt aus:
- Einkommensschwache Menschen würden das Grundeinkommen bedingungslos bekommen und nicht mehr vom Arbeitsamt belästigt werden.
- Reiche Menschen würden kein Geld erhalten.
- Die “Bedarfsprüfung” der konkreten Höhe würde in einen Einkommensbereich im Mittelstand fallen, in dem die Höhe der Einnahmen ganz einfach in der Steuererklärung ersichtlich ist, ohne dass den Menschen genauer auf die Finger geschaut werden muss, als es heute bereits der Fall ist. Auch kommt es in diesem Einkommensbereich auf 20-30€ im Monat nicht so sehr an wie in einkommensschwachen Haushalten.
Daher frage ich mich, warum eine solche relativ simple Idee im Mainstream keine Aufmerksamkeit hat. Ist denn bisher wirklich keiner der hochkarätigen Ökonomen darauf gekommen, was man mit linearer Interpolation so alles Tolles anstellen kann? Oder möchte man sich einfach nicht für Neues öffnen? Schon in den 90ern hat Rolf Zuckowski im Lied “Alle wissen alles, keiner weiß Bescheid” treffend gesungen:
Und die klugen Köpfe flechten alte Zöpfe, bis die neue Wirklichkeit sie aus den Träumen reißt.
Nun, die Generation, die mit Rolf Zuckowski aufgewachsen ist, ist jetzt erwachsen und will die Politik “Klarmachen zum Ändern”. 🙂
BGE in Krisenzeiten
Ein weiterer Punkt, der leider im öffentlichen Diskurs viel zu kurz kommt, ist die stabilisierende Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens auf den Konsum in Krisenzeiten. Die in der Corona-Krise getroffenen Maßnahmen, wie Soforthilfen für Selbständige oder Mietstundungen, sind unvollständig, da z.B. Studenten vergessen werden. Ein Grundeinkommen hingegen würde niemanden vergessen. Eine neoliberale Weltwirtschaft wird immer instabil bleiben. Die Menschen brauchen endlich eine kontinuierliche finanzielle Lebensgrundlage, um diese Krisen zu überstehen. Aber auch hier kann ich leider nur wiederholen, dass diese überfällige Zukunftsdiskussion in der breiten Öffentlichkeit praktisch nicht stattfindet.
Mein Appell
Ich wünsche mir, dass Menschen in Debatten mehr Bereitschaft zeigen, Gegenargumente zu ihren eigenen Argumenten zu finden, um ihre Standpunkte auf solidere Füße zu stellen, anstatt sich in Talkshows die immer gleichen Stammtischparolen um die Ohren zuhauen. Ist billige Unterhaltung wirklich wichtiger als Bildungsfernsehen? Ist das Reden über Probleme wichtiger als das Finden von Lösungen?
Ich finde “nein”, auch wenn die letzten Jahre gezeigt haben, dass viele Menschen anscheinend eine andere Meinung vertreten, so dass inzwischen das personifizierte Meckern und Pöbeln in den Parlamenten sitzt und auch von Talkshows nicht mehr wegzudenken ist. Wir brauchen mehr konstruktive Diskussionen und weniger destruktives Meckern, damit sich etwas zum Positiven verändern kann. Daher fordere ich, dass wir nicht nur beim BGE, sondern generell, innerhalb und außerhalb der Politik, wegkommen von Stammtischparolen und hinkommen zu vernünftigen, ergebnisorientierten Erörterungen mit Herz und Verstand. Es wird höchste Zeit.
Inhalte
Ein Artikel aus der Flaschenpost von Alexander Raiola
In der Corona-Krise hat das Thema “Bedingungsloses Grundeinkommen” (BGE) wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten. Leider wird die Diskussion auch heute noch viel zu oberflächlich geführt. Obwohl wir dieses Problem bereits mehrfach angesprochen haben, hat sich bis heute in der öffentlichen Debatte leider nicht viel getan. Es werden nach wie vor die üblichen Totschlagargumente verwendet. In diesem Artikel möchte ich mit den bekanntesten Totschlagargumenten aufräumen und dazu anregen, dass die Debatte in Zukunft konstruktiver geführt wird.
Wer soll das bezahlen?
Ein allseits beliebtes Totschlagargument lautet: Das ist doch nicht finanzierbar. Dieses Argument wird häufig bei staatlichen Ausgaben für Umwelt, Gesundheit oder soziale Zwecke angewendet, aber kaum stottert die Wirtschaft, sei es Abwrackprämie oder Bankenrettung, schon ist alles anders und die Ausgaben werden schweigend mit knirschenden Zähnen als alternativlos hingenommen. Waren es bei der Finanzkrise zur Bankenrettung noch Milliarden, geht es in Zeiten von Corona um Billionen. Die Sendung “Die Anstalt” spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten “Diktat der leeren Kassen”. In der Folge “Neoliberalismus” wurde dieser Begriff im Rahmen der Erklärung zur Mont Pelerin Gesellschaft ab Minute 33 sehr schön präsentiert.
Nun kann man einwenden, Krisenhilfen seien einmalig, während ein BGE jedes Jahr finanziert werden müsse. Allerdings ist das zu oberflächlich gedacht, denn während Krisenhilfen in die Taschen der Investoren fließen, die sich über Zinsen und Dividenden immer weiter bereichern und einen Großteil ihres Geldes nie wieder ausgeben, wird ein bedingungsloses Grundeinkommen sehr wohl wieder ausgegeben und fließt daher über Steuern nach und nach an den Staat zurück. Weiterhin haben wir folgende Vorschläge zur nachhaltigen Finanzierung des BGEs in unserem Wahlprogramm festgehalten:
Hinzu kommt noch eine drastische Reduktion der Verwaltungskosten, da zum Beispiel die Bedarfsprüfung für Hartz IV wegfällt.
Anmerkung.: Mit Finanztransaktionssteuer meinen wir das, was 2017 noch darunter verstanden wurde, und nicht die Unverschämtheit, die kürzlich von der GroKo eingeführt wurde. Eine gute Finanztransaktionssteuer erschwert den Hochfrequenzhandel und besteuert nicht die Kleinsparer. Die GroKo wollte es aber lieber umgekehrt. Siehe hierzu auch Dirk Müller.
Wer geht denn dann noch arbeiten?
Ein weiteres Gegenargument gegen das BGE lautet: “Dann geht ja keiner mehr arbeiten”. Dieses Argument ist natürlich ernstzunehmen, sollte aber weitergedacht werden, als es bisher in der Regel der Fall ist. Zum Beispiel fordern wir PIRATEN im o.g. Abschnitt unseres Wahlprogramms, das BGE schrittweise einzuführen, in Form eines sogenannten Sockeleinkommens, das zunächst nicht Existenzsichernd sein soll. Würde man also bspw. 400€ pro Monat bedingungslos an alle Menschen auszahlen, so müssten sich dennoch alle Menschen einen Großteil ihres Lebensunterhalts verdienen, könnten aber ggf. den schlechtesten ihrer 400€-Jobs an den Nagel hängen und hätten wieder etwas Luft zum Atmen. In dieser Phase könnten Fakten geschaffen werden, die für eine konstruktive Diskussion darüber benötigt werden, ob Menschen wirklich nicht mehr arbeiten würden, wenn man das Sockeleinkommen erhöhen würde. Basierend auf diesen Diskussionen kann dann entschieden werden, ob und inwieweit das Sockeleinkommen noch gesteigert werden kann und welche sozialen Gelder in das Grundeinkommen überführt werden können zwecks Bürokratieabbau.
Im Grunde ist das Sockeleinkommen die simpelste unter den konstruktiven Lösungen als Antwort auf die Befürchtung, dass mit einem BGE niemand mehr arbeiten ginge. Nur leider bekommen konstruktive Lösungen praktisch keine Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs.
BGE für Reiche?
Auch das Argument, dass reiche Menschen kein BGE benötigen, ist relativ schwach, denn in den vernünftigen Modellen (s.o.) werden reiche Menschen weitaus höher besteuert als heute, so dass das Sockeleinkommen für reiche Menschen mehr als ausgeglichen wird. Man könnte das Thema allerdings auch noch einen Schritt differenzierter betrachten und z.B. über ein Modell nachdenken, das einkommensschwachen Menschen das Einkommen bedingungslos gibt, reichen Menschen nichts gibt und irgendwo im Mittelstand linear interpoliert. Nehmen wir bspw. an, man würde bis 30.000€ Jahresbrutto das Einkommen bedingungslos erhalten, ab 40.000€ gäbe es nichts mehr und dazwischen würde man linear interpolieren. Dann sähe es wie folgt aus:
Daher frage ich mich, warum eine solche relativ simple Idee im Mainstream keine Aufmerksamkeit hat. Ist denn bisher wirklich keiner der hochkarätigen Ökonomen darauf gekommen, was man mit linearer Interpolation so alles Tolles anstellen kann? Oder möchte man sich einfach nicht für Neues öffnen? Schon in den 90ern hat Rolf Zuckowski im Lied “Alle wissen alles, keiner weiß Bescheid” treffend gesungen:
Nun, die Generation, die mit Rolf Zuckowski aufgewachsen ist, ist jetzt erwachsen und will die Politik “Klarmachen zum Ändern”. 🙂
BGE in Krisenzeiten
Ein weiterer Punkt, der leider im öffentlichen Diskurs viel zu kurz kommt, ist die stabilisierende Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens auf den Konsum in Krisenzeiten. Die in der Corona-Krise getroffenen Maßnahmen, wie Soforthilfen für Selbständige oder Mietstundungen, sind unvollständig, da z.B. Studenten vergessen werden. Ein Grundeinkommen hingegen würde niemanden vergessen. Eine neoliberale Weltwirtschaft wird immer instabil bleiben. Die Menschen brauchen endlich eine kontinuierliche finanzielle Lebensgrundlage, um diese Krisen zu überstehen. Aber auch hier kann ich leider nur wiederholen, dass diese überfällige Zukunftsdiskussion in der breiten Öffentlichkeit praktisch nicht stattfindet.
Mein Appell
Ich wünsche mir, dass Menschen in Debatten mehr Bereitschaft zeigen, Gegenargumente zu ihren eigenen Argumenten zu finden, um ihre Standpunkte auf solidere Füße zu stellen, anstatt sich in Talkshows die immer gleichen Stammtischparolen um die Ohren zuhauen. Ist billige Unterhaltung wirklich wichtiger als Bildungsfernsehen? Ist das Reden über Probleme wichtiger als das Finden von Lösungen?
Ich finde “nein”, auch wenn die letzten Jahre gezeigt haben, dass viele Menschen anscheinend eine andere Meinung vertreten, so dass inzwischen das personifizierte Meckern und Pöbeln in den Parlamenten sitzt und auch von Talkshows nicht mehr wegzudenken ist. Wir brauchen mehr konstruktive Diskussionen und weniger destruktives Meckern, damit sich etwas zum Positiven verändern kann. Daher fordere ich, dass wir nicht nur beim BGE, sondern generell, innerhalb und außerhalb der Politik, wegkommen von Stammtischparolen und hinkommen zu vernünftigen, ergebnisorientierten Erörterungen mit Herz und Verstand. Es wird höchste Zeit.