Bundespartei Gesellschaft

Merkel hat das Land ruiniert?

Ein Artikel aus der Flaschenpost von Tobias Buturoaga

Wer auf Twitter, Facebook und Co. politischen Diskussionen folgt oder daran teilnimmt, wird über kurz oder lang über einen Satz recht häufig stolpern: “Merkel hat das Land ruiniert!“.

Ausgesprochen wird dieser oft in dem festen Wissen, man sei absolut im Recht und das müsse doch bitte jeder genauso sehen. Wer nach Belegen und Beispielen fragt, wird in der Regel mit Einzelbeispielen von Verwandten, Bekannten und Freunden konfrontiert, die selbständig sind und aktuell in nachvollziehbaren Schwierigkeiten stecken; nicht selten ist dann besonders aktuell von Selbständigen die Rede, die aufgrund von “Berufsverboten” jetzt um ihre Existenz bangen müssten.

So bedauernswert und schlimm das ja auch ist, als Beweisführung für den Ruin eines ganzen Landes jedoch genügt das jedoch nicht. Gerade Selbständige waren schon immer darauf angewiesen, selbst mehr Vorsorge zu leisten und sich selbst abzusichern. Ob das nun fair und gerecht ist oder nicht, darum soll es hier heute auch gar nicht gehen. Und selbst dann könnte man das nicht Merkel allein vorhalten, denn das ist ja nicht erst seit ihrer Amtszeit der Fall.

Was bedeutet eigentlich Ruin?

Wenn wir in Google das Wort “Ruin” suchen, finden wir nebenstehenden Lexikoneintrag. Als Synonyme für Ruin werden uns also u. a. Unglück, Untergang, Konkurs, Bankrott, Pleite und Zusammenbruch angeboten. Realistisch betrachtet, trifft nicht ein einziges dieser Synonyme auf Deutschland zu. Das Land ist weder untergegangen, noch konkurs, bankrott oder gar zusammengebrochen; ganz im Gegenteil, im internationalen Vergleich stehen wir doch eher sehr gut da.

Die meisten von uns haben eine Wohnung oder ein Haus, entweder zur Miete oder als Eigentum und somit ein Dach über dem Kopf und sind vor Kälte, Unbill und Wetter geschützt. In dieser Wohnung oder diesem Haus befinden sich Steckdosen, aus denen Strom kommt, Wasserhähne, aus denen fließend Wasser kommt und Heizungen, die dafür sorgen, dass wir nicht frieren. Wer keine Arbeit hat, wird in aller Regel vom sozialen Netz aufgefangen, welches dafür sorgt, dass niemand hungern oder frieren muss. Sicher, das Netz benötigt Reparaturen und Verbesserungen, aber es funktioniert grundlegend und ist ein weiteres Indiz dafür, dass das Land nicht ruiniert ist.

Die meisten, die vom Ruin Deutschlands reden, tun dies mit ihrem iPhone oder einem Computer. Die meisten, die das Land nicht nur am, sondern bereits im Abgrund sehen, sind von selbigem selbst so weit entfernt, wie sie nur sein könnten. Sicher, auch in Deutschland gibt es Obdachlose. Die gibt es jedoch in jedem Land und um die soll es in dieser Betrachtung jetzt auch gar nicht gehen; deren Existenz allein bedingt noch keinen Ruin des Landes als solchem.

Der “Ruin” aus Merkels Hand in Zahlen

Erzählen kann man viel und genau das tun jene, die den Ruin herbeibeschwören, ja auch sehr häufig. Schauen wir uns also konkrete Entwicklungen an.

Arbeitslosigkeit

Wenn man über den Ruin eines Landes spricht, gibt es bestimmte Eckpfeiler und Daten, die man sich standardmäßig anschauen kann, um festzustellen, ob es dem Land nun wirklich schlecht geht oder nicht. Gemeinhin wird als negativer Faktor eine hohe Arbeitslosigkeit angesehen. Wie hat sich also die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt?

Zwischen 1980 und 2005 ist ein relativ stetiger Anstieg der Arbeitslosigkeit zu sehen. Merkel wurde 2005 Kanzlerin, am Anfang ihrer Kanzlerschaft lag die Quote in Ostdeutschland bei über 18%. Die Grafik zeigt recht deutlich einen Abfall dieser Quote bis hin zu 4-6% im November 2019.

Jetzt müssen wir hier natürlich auch mit bedenken, dass diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind. So werden seit Längerem zum Beispiel Kurzzeitbeschäftigte, Hartz-IV-Empfänger mit Beschäftigung, etc. nicht mehr als Arbeitslose gezählt und fallen, obwohl sich deren Situation nicht wirklich verbessert oder gar normalisiert hat, aus der Statistik raus. Dennoch steht am Ende eine Verbesserung des Indikators. Nehmen wir also die Arbeitslosenquote als Indikator, so hat Merkel das Land nicht ruiniert. In ihrer Kanzlerschaft ist die Arbeitslosenquote stetig gesunken. Das ist eine Verbesserung, keine Verschlimmerung.

Bruttoinlandsprodukt

Das Bruttoinlandsprodukt ist ein weiter Indikator, an dem man messen kann, ob Merkel das Land in den Ruin getrieben hat oder nicht. Ein sinkendes Bruttoinlandsprodukt kann z.B. als Schwächung der Wirtschaft interpretiert werden, während man sagen könnte, dass ein stetig wachsendes Bruttoinlandsprodukt als ein Indikator für Wohlstand und wirtschaftliche Sicherheit gesehen werden kann.

Seit Merkels Amtsantritt 2005 ist das BIP, mit einer Ausnahme in 2009, stetig gestiegen. Das ist ein Trend, der schon weit vor Merkel begann; tatsächlich ist 2009 das einzige Jahr seit 1950, in dem das BIP im Vergleich zum Vorjahr mal nicht stieg.

Wenn wir also nun von der vorgenannten Prämisse ausgehen, dass wir ein stetig steigendes BIP als positiven Indikator interpretieren, müssen wir hier zum Schluss kommen, dass Merkel auch hier das Land nicht in den Ruin getrieben hat.

Inflation

Als Inflation (vom lateinischen inflatio, Aufblähen oder Anschwellen) wird gemeinhin die “Entwertung” von Geld im Sinne der Minderung der Kaufkraft bei gleichbleibender Warenmenge bezeichnet. Sinkt die Kaufkraft eines Landes zu stark, wird dies i.d.R. als negativer Indikator betrachtet. Bei einer regelmäßig stark sinkenden Kaufkraft könnte man also davon sprechen, dass das Land in den Ruin getrieben würde. Wie verhält es sich also mit der deutschen Kaufkraft?

Diese schwankt auch unter einer Kanzlerin Merkel mitunter spürbar; das hat sie jedoch mit so ziemlich jedem ihrer Vorgänger gemein. Alles in Allem jedoch hält sich die Inflationsrate mehr oder minder stabil. Insgesamt sind die Schwankungen nicht so hoch wie die, die während einer Amtszeit Schmidt oder Kohl stattfanden und auch die Werte sind im Vergleich deutlich niedriger. Hatten ein Kanzler Schmidt oder Kohl teilweise mit Inflationsraten über 5% zu kämpfen, so kam Merkel nur selten mal über 2%.

Insgesamt betrachtet würde ich hier also auch nicht von einem Ruin sprechen.

Also, sind wir ruiniert?

Nehmen wir die o.g. drei Indikatoren als Entscheidungsgrundlage, kann man beim besten Willen nicht davon sprechen, dass wir in einem ruinierten Land leben. Auch kann man anhand der drei Indikatoren nicht sagen, sie hätten sich während Merkels Amtszeit nennenswert verschlechtert. Im Gegenteil, sowohl Arbeitslosenquote als auch Bruttoinlandsprodukt haben sich während Merkels Amtszeit stetig verbessert.

Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen haben fließend Wasser, Strom, Heizung und ein Dach über dem Kopf. Andere Länder müssen keine Flüchtlinge aus Deutschland aufnehmen, weil sie hier vom Staat wegen ihrer politischen oder religiösen Ansicht verfolgt oder gar ermordet würden. Man darf in Deutschland seine Meinung frei sagen, ohne dafür staatliche Repressalien befürchten zu müssen. Das geht sogar so weit, dass man in Deutschland oftmals sogar die Abschaffung der Demokratie fordern darf, ohne dafür Konsequenzen befürchten zu müssen. So weit sogar, dass es eine Partei in den Bundestag geschafft hat, die mitunter unverhohlen und unwidersprochen Aussagen ihrer Mitglieder toleriert, die streckenweise klar faschistischer und nationalsozialistischer Diktion folgen. So weit geht die Meinungsfreiheit in Deutschland. Und auch die Extreme der anderen Ideologien, wie z.B. Sozialismus oder Islamismus, dürfen hier ihre Meinung frei äußern. Auch dies ist kein Zeichen eines in den Ruin getriebenen Landes und auch unter Merkel hat sich hieran nichts geändert.

Aber die Coronamaßnahmen sind doch Grundrechtseinschränkungen!

Ja, das ist teilweise richtig. Grundrechtseinschränkungen jedoch, zu denen das Parlament mit der Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes die Regierung klar, deutlich und in Einhaltung unserer parlamentarischen Grundregeln berechtigt hat.

Das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wurde im März 2020 beschlossen, und der Bundestag hat zur selben Zeit das Vorliegen einer solchen epidemischen Lage beschlossen. Da war nichts Diktatorisches dabei, das hat der Bundestag in Einhaltung der parlamentarischen Gepflogenheiten so beschlossen. Eben jenes Gesetz ermächtigt in Folge dessen das Gesundheitsministerium zum Beschluss entsprechender Maßnahmen. Und diese Maßnahmen sind alle bislang erforderlich, angemessen und zweckmäßig. Und sie sind schlicht und ergreifend auch zwingend notwendig; nicht selten ergibt sich diese Notwendigkeit auch aus dem Unwillen großer Teile der Bürger, die vorab getroffenen, milderen Maßnahmen und Regeln, einzuhalten.

Und nichts von dem, was seither vom Bürger gefordert wurde, ist wirklich zu viel erwartet. Wir müssen uns hier stetig vor Augen halten, dass wir von einer Pandemie sprechen. Das betrifft nicht nur uns, das betrifft die ganze Welt. Genau wie zuvor z.B. die Spanische Grippe, die Schweinepest oder die Vogelgrippe. Nicht alle dieser vorgenannten Epidemien grassierten ähnlich stark, wie nun Covid19 und nicht alle davon sind ähnlich schwerwiegend für uns. Am Ehesten noch vergleichbar wären hier wohl Spanische Grippe und Covid19. In einem Zeitraum von knapp 2 Jahren forderte die Spanische Grippe hierbei zwischen 20 und 50 Millionen Toten. In einer Zeit, in der Hygiene und Medizin noch nicht so weit fortgeschritten waren, wie heute. Ohne die moderne Medizin, Hygiene und Vorsichtsmaßnahmen, könnte Covid19 durchaus ähnliche Zahlen erreicht haben. Außerdem sprechen wir bei Covid19 auch von höchst unangenehmen potentiellen Folgeschäden in Lunge, Herz und Hirn.

Fazit

Wir sind nicht ruiniert. Wir sind verwöhnt. Und wir wollen unsere Schäufelchen weder teilen, noch abgeben. Nicht einmal für kurze Zeit. Das wird sich noch rächen, denn dem Virus ist unsere Bequemlichkeit schlicht egal.

Man kann an Merkels Politik viel kritisieren. Dass ich Merkel mal verteidigen würde, hätte mir vor einem Jahr auch niemand sagen dürfen. Und auch nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass Merkel politisch mal mehr wagen müsste. Den Status quo nur zu verwalten, kann nicht ewig gut gehen, auch, wenn wir damit seit 15 Jahren Glück haben. Deutschland braucht Innovation. Deutschland braucht mehr Fortschritt und das selbstbewusste Zugehen auf Neues. Unsere Infrastruktur muss erneuert werden, Digitalisierung, eLearning, eGovernment und co. müssen vorangetrieben werden. Dass Menschen, die jahrzehntelang buckeln, im Alter von der Rente oftmals nicht leben können, muss sich ändern. Dass Menschen, die in Vollzeit arbeiten, oftmals gerade so oder gar nicht eigenständig über die Runden kommen, geschweige denn, sich mal etwas außer der Reihe leisten können, muss sich ändern.

All das ist mit einer Kanzlerin Merkel kaum bis nicht passiert und das kreide ich ihr durchaus an. Das hat sie auch zu verantworten. Wir könnten in vielen Bereichen schon deutlich weiter sein, wäre sie keine Verwalterin, sondern eine Macherin. Hätte sie ein wenig mehr politischen Wagemut, könnten wir vermutlich heute Vorreiter bei Digitalisierung, eLearning und eGovernment sein. Stattdessen werden wir von so ziemlich jedem anderen Land in den Punkten Breitbandverbindung, eGovernment und co. zum Teil weit abgehängt.

Gibt es Einiges, dass man an Merkels Politik kritisieren und verbessern könnte? Mit Sicherheit, keine Frage. Aber in den Ruin getrieben hat sie das Land nun beim besten Willen nicht. Genau das, was viele – u.A. ja auch ich – ihr vorwerfen, die bloße Verwaltung des Status Quo, schließt den Ruin ja explizit aus. Unser Standard wird gehalten. Damit kommt man zwar nicht voran, aber eben auch nicht über den Abgrund hinaus.