Dieser Beitrag des EU-Parlamentariers Mikuláš Peksa (Piratenpartei Tschechien) wurde zuerst auf auf dessen Homepage veröffentlicht, zu finden unter folgendem Link: mikulas-peksa.eu/ge/stellt-2022-den-wendepunkt-in-der-digitalen-revolution-dar/
Letztes Jahr haben wir im Europäischen Parlament lange Debatten über das künftige Aussehen der Online-Welt geführt. Sie wird von einer Handvoll Technologie-Giganten wie Apple und Facebook beherrscht, deren Monopolstellung das Gleichgewicht des digitalen Ökosystems in ungesunder Weise zu ihren Gunsten verschiebt. Der digitale Raum hat eine globale Dimension und reicht weit über die Grenzen der EU-Mitgliedstaaten hinaus. Auch deshalb freue ich mich, dass die Debatte über die notwendige Regulierung großer digitaler Plattformen langsam aber sicher eine transatlantische Dimension annimmt. Die Vereinigten Staaten, insbesondere der US-Kongress, stehen mit der Europäischen Union darüber im Dialog, wie die Dominanz von Monopolen im digitalen Umfeld gelöst werden kann. 2022 sollte in dieser Hinsicht zum Wendepunkt werden. Dieses Jahr müssen die ehrgeizigen Debatten endlich in konkrete Gesetzespakete gegossen werden.
Was bei der digitalen Transformation schief gelaufen ist
Das digitale Umfeld von heute gleicht eher einer Anarchie, in der es kaum Regeln gibt und mehr oder weniger alles erlaubt ist. Die letzte europäische Rechtsvorschrift zur Regulierung des Online-Umfelds ist sage und schreibe zwanzig Jahre alt. In diesen zwei Jahrzehnten sind digitale Plattformen zu einem festen Bestandteil unseres Lebens geworden, und es ist heute schwer vorstellbar, dass wir im Internet ohne Google oder Facebook auskommen könnten. Während die positiven Auswirkungen der digitalen Transformation der letzten Jahre auf der Hand liegen, hat die beherrschende Stellung, die einige Plattformen erlangt haben, ihnen nicht nur erhebliche Vorteile gegenüber ihren Mitbewerbern verschafft, sondern auch einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf unsere Demokratie, Gesellschaft und Wirtschaft gebracht.
Ziel der geplanten Regelungen ist es nicht, die Entwicklung des digitalen Wandels zu bremsen oder den großen digitalen Plattformen mit aller Macht Knüppel zwischen die Beine zu werfen, sondern uns Nutzer und unsere grundlegenden Bürgerrechte zu schützen. Bislang hatten die Plattformen das Privileg, ihre eigenen Regeln festzulegen. Das hat jedoch dazu geführt, dass wir als Einzelpersonen und als einzelne Staaten keine Kontrolle darüber haben, welche Informationen die Plattformen über uns speichern oder welche Inhalte sie uns auf der Grundlage unserer personenbezogenen Daten unterschieben. Die Informationen, die uns die Whistleblowerin Frances Haugen im November persönlich im Europäischen Parlament vorgelegt hat, enthüllten beispielsweise, dass Facebook und Instagram absichtlich Inhalte aus Profitgründen manipulieren, was der psychischen Gesundheit von Minderjährigen und demokratischen Werten generell abträglich ist. Darüber hinaus sind in den letzten Jahren immer wieder sensible personenbezogene Daten von Nutzern, wie bspw. Hausnummern oder Standortdaten, geleakt worden. 2021 wurden beispielsweise die privaten Telefonnummern von 533 Millionen Facebook-Nutzer·innen in einem Hackerforum veröffentlicht. Gesammelt wurden diese Nummern übrigens ohne jeden validen Grund. Es geschah lediglich deshalb, weil es möglich war.
Neue europäische Legislative – Das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte
Zwei neue europäische Gesetzespakete – das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte – sollen ab 2022 dieses Ungleichgewicht zwischen Nutzern und digitalen Plattformen beenden. Die Verabschiedung dieser Gesetze ist eines der Hauptziele der französischen EU-Ratspräsidentschaft, die soeben begonnen hat. Sollten die französische Ratspräsidentschaft dafür zeitlich zu kurz sein, werden wir Tschechen uns in der zweiten Jahreshälfte darum kümmern und die Sache vervollständigen. Das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte sollten wichtige Bestandteile der Gestaltung der digitalen Revolution in Europa und Präzedenzfälle für andere entstehende Regelungen in anderen Teilen der Welt werden. Mit diesen beiden Gesetzen sollen neue, bessere Regeln für sehr große Plattformen wie die bereits erwähnten – Google, Apple, Facebook oder Amazon – aufgestellt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Sicherheit und dem Schutz der personenbezogenen Nutzerdaten. Diese Regularien werden den Menschen mehr Kontrolle darüber geben, was sie online sehen: Die Nutzer werden entscheiden können, ob sie gezielte Werbung zulassen wollen oder nicht, und sie werden klare Informationen darüber erhalten, warum ihnen bestimmte Inhalte empfohlen werden. Beide Gesetze, jenes über digitale Dienste ebenso wie jenes über digitale Märkte, dienen dem Schutz des freien Internets, was mit Fug und Recht als eines unserer Bürgerrechte zu betrachten ist. Das bedeutet, dass wir, wenn beispielsweise Plattformen unsere Online-Inhalte grundlos entfernen, ihre Entscheidung anfechten und Beschwerde einlegen können.
US-Debatte über die Regulierung großer digitaler Plattformen
Praktisch alle großen digitalen Plattformen, die in erster Linie von den europäischen Vorschriften betroffen sein werden, haben ihren Sitz in den Vereinigten Staaten. Wer jedoch erwartet, dass dies zu einem neuen Streit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten führen wird, der irrt. In den Vereinigten Staaten verläuft die diesbezügliche Debatte über neue Vorschriften zwar langsamer als in Europa, aber auch dort werden wir in diesem Jahr wahrscheinlich die Ergebnisse der Arbeit der Kongressabgeordneten sehen, die für eine Änderung der Kartellgesetze kämpfen. Das Hauptproblem in der digitalen Welt ist gerade die Existenz von unveränderlichen Monopolen, deren Macht von Jahr zu Jahr wächst. Im vergangenen Juli sagte US-Präsident Joe Biden zu diesem Thema: „Kapitalismus ohne Wettbewerb ist kein Kapitalismus“. In den Vereinigten Staaten herrscht überraschenderweise über das gesamte politische Spektrum hinweg Einigkeit darüber, dass die sogenannten Big–Tech-Monopole aufgebrochen werden müssen. Selbst der konservative republikanische Senator Ted Cruz vertrat im April 2021 die Ansicht, dass „Big Tech heute die größte Ansammlung von Macht, Markt- und Monopolmacht darstellt, die die Welt je gesehen hat“. Die US-amerikanischen Vorschriften sollten sich an den europäischen orientieren, das heißt der Bürger als Nutzer sollte an erster Stelle stehen und erst dann die Marktinteressen der Plattformen. Es gibt auch eine Debatte über die undurchsichtigen und diskriminierenden Algorithmen, die Technologieunternehmen zur Datenerfassung und Anzeigenschaltung einsetzen.
Für 2022 ist daher mit einem großen Richtungswechsel bei der globalen digitalen Transformation zu rechnen. Sowohl die europäischen Gesetze über digitale Dienste und Märkte, als auch die sich abzeichnende US-Gesetzgebung werden Präzedenzfälle für die weitere Entwicklung der digitalen Landschaft in der ganzen Welt schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass es sich hier um eine Wende zum Wohle der Nutzer und zum Schutz unserer Freiheiten und unserer Privatsphäre handelt.
Quellen:
- Year of reckoning for Big Tech: How U.S. lawmakers plan to rein in companies like Facebook and Google in 2022 (CBC) [Das Jahr der Abrechnung mit den Technologie-Giganten: Wie US- Gesetzgeber Unternehmen wie Facebook und Google ab 2022 in die Schranken weisen werden] – www.cbc.ca/news/business/big-tech-regulation-united-states-social-media-1.6295055
- Why 2022 could be a ‘watershed year’ for tech regulation [Warum 2022 den Wendepunkt der Regulierung im Tech-Bereich bringen könnte] (Washington Post) – www.washingtonpost.com/politics/2022/01/03/why-2022-could-be-watershed-year-tech-regulation/
- 2022: The turning point in EU’s digital policy [Der Wendepunkt in der Digitalpolitik der EU] (Euroactive) – www.euractiv.com/section/digital/news/2022-the-turning-point-in-eus-digital-policy/
- Toward 2022: the state of the tech and telecoms debate [In Richtung 2022: Der Stand der Tech- und Telecom-Debatte] (Politico) – www.politico.eu/sponsored-content/toward-2022-the-state-of-the-tech-and-telecoms-debate/
- Hier finden Sie einige Themen, die Brüssel 2022 auf dem Teller haben wird –
Dieser Beitrag des EU-Parlamentariers Mikuláš Peksa (Piratenpartei Tschechien) wurde zuerst auf auf dessen Homepage veröffentlicht, zu finden unter folgendem Link: mikulas-peksa.eu/ge/stellt-2022-den-wendepunkt-in-der-digitalen-revolution-dar/
Letztes Jahr haben wir im Europäischen Parlament lange Debatten über das künftige Aussehen der Online-Welt geführt. Sie wird von einer Handvoll Technologie-Giganten wie Apple und Facebook beherrscht, deren Monopolstellung das Gleichgewicht des digitalen Ökosystems in ungesunder Weise zu ihren Gunsten verschiebt. Der digitale Raum hat eine globale Dimension und reicht weit über die Grenzen der EU-Mitgliedstaaten hinaus. Auch deshalb freue ich mich, dass die Debatte über die notwendige Regulierung großer digitaler Plattformen langsam aber sicher eine transatlantische Dimension annimmt. Die Vereinigten Staaten, insbesondere der US-Kongress, stehen mit der Europäischen Union darüber im Dialog, wie die Dominanz von Monopolen im digitalen Umfeld gelöst werden kann. 2022 sollte in dieser Hinsicht zum Wendepunkt werden. Dieses Jahr müssen die ehrgeizigen Debatten endlich in konkrete Gesetzespakete gegossen werden.
Was bei der digitalen Transformation schief gelaufen ist
Das digitale Umfeld von heute gleicht eher einer Anarchie, in der es kaum Regeln gibt und mehr oder weniger alles erlaubt ist. Die letzte europäische Rechtsvorschrift zur Regulierung des Online-Umfelds ist sage und schreibe zwanzig Jahre alt. In diesen zwei Jahrzehnten sind digitale Plattformen zu einem festen Bestandteil unseres Lebens geworden, und es ist heute schwer vorstellbar, dass wir im Internet ohne Google oder Facebook auskommen könnten. Während die positiven Auswirkungen der digitalen Transformation der letzten Jahre auf der Hand liegen, hat die beherrschende Stellung, die einige Plattformen erlangt haben, ihnen nicht nur erhebliche Vorteile gegenüber ihren Mitbewerbern verschafft, sondern auch einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf unsere Demokratie, Gesellschaft und Wirtschaft gebracht.
Ziel der geplanten Regelungen ist es nicht, die Entwicklung des digitalen Wandels zu bremsen oder den großen digitalen Plattformen mit aller Macht Knüppel zwischen die Beine zu werfen, sondern uns Nutzer und unsere grundlegenden Bürgerrechte zu schützen. Bislang hatten die Plattformen das Privileg, ihre eigenen Regeln festzulegen. Das hat jedoch dazu geführt, dass wir als Einzelpersonen und als einzelne Staaten keine Kontrolle darüber haben, welche Informationen die Plattformen über uns speichern oder welche Inhalte sie uns auf der Grundlage unserer personenbezogenen Daten unterschieben. Die Informationen, die uns die Whistleblowerin Frances Haugen im November persönlich im Europäischen Parlament vorgelegt hat, enthüllten beispielsweise, dass Facebook und Instagram absichtlich Inhalte aus Profitgründen manipulieren, was der psychischen Gesundheit von Minderjährigen und demokratischen Werten generell abträglich ist. Darüber hinaus sind in den letzten Jahren immer wieder sensible personenbezogene Daten von Nutzern, wie bspw. Hausnummern oder Standortdaten, geleakt worden. 2021 wurden beispielsweise die privaten Telefonnummern von 533 Millionen Facebook-Nutzer·innen in einem Hackerforum veröffentlicht. Gesammelt wurden diese Nummern übrigens ohne jeden validen Grund. Es geschah lediglich deshalb, weil es möglich war.
Neue europäische Legislative – Das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte
Zwei neue europäische Gesetzespakete – das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte – sollen ab 2022 dieses Ungleichgewicht zwischen Nutzern und digitalen Plattformen beenden. Die Verabschiedung dieser Gesetze ist eines der Hauptziele der französischen EU-Ratspräsidentschaft, die soeben begonnen hat. Sollten die französische Ratspräsidentschaft dafür zeitlich zu kurz sein, werden wir Tschechen uns in der zweiten Jahreshälfte darum kümmern und die Sache vervollständigen. Das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte sollten wichtige Bestandteile der Gestaltung der digitalen Revolution in Europa und Präzedenzfälle für andere entstehende Regelungen in anderen Teilen der Welt werden. Mit diesen beiden Gesetzen sollen neue, bessere Regeln für sehr große Plattformen wie die bereits erwähnten – Google, Apple, Facebook oder Amazon – aufgestellt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Sicherheit und dem Schutz der personenbezogenen Nutzerdaten. Diese Regularien werden den Menschen mehr Kontrolle darüber geben, was sie online sehen: Die Nutzer werden entscheiden können, ob sie gezielte Werbung zulassen wollen oder nicht, und sie werden klare Informationen darüber erhalten, warum ihnen bestimmte Inhalte empfohlen werden. Beide Gesetze, jenes über digitale Dienste ebenso wie jenes über digitale Märkte, dienen dem Schutz des freien Internets, was mit Fug und Recht als eines unserer Bürgerrechte zu betrachten ist. Das bedeutet, dass wir, wenn beispielsweise Plattformen unsere Online-Inhalte grundlos entfernen, ihre Entscheidung anfechten und Beschwerde einlegen können.
US-Debatte über die Regulierung großer digitaler Plattformen
Praktisch alle großen digitalen Plattformen, die in erster Linie von den europäischen Vorschriften betroffen sein werden, haben ihren Sitz in den Vereinigten Staaten. Wer jedoch erwartet, dass dies zu einem neuen Streit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten führen wird, der irrt. In den Vereinigten Staaten verläuft die diesbezügliche Debatte über neue Vorschriften zwar langsamer als in Europa, aber auch dort werden wir in diesem Jahr wahrscheinlich die Ergebnisse der Arbeit der Kongressabgeordneten sehen, die für eine Änderung der Kartellgesetze kämpfen. Das Hauptproblem in der digitalen Welt ist gerade die Existenz von unveränderlichen Monopolen, deren Macht von Jahr zu Jahr wächst. Im vergangenen Juli sagte US-Präsident Joe Biden zu diesem Thema: „Kapitalismus ohne Wettbewerb ist kein Kapitalismus“. In den Vereinigten Staaten herrscht überraschenderweise über das gesamte politische Spektrum hinweg Einigkeit darüber, dass die sogenannten Big–Tech-Monopole aufgebrochen werden müssen. Selbst der konservative republikanische Senator Ted Cruz vertrat im April 2021 die Ansicht, dass „Big Tech heute die größte Ansammlung von Macht, Markt- und Monopolmacht darstellt, die die Welt je gesehen hat“. Die US-amerikanischen Vorschriften sollten sich an den europäischen orientieren, das heißt der Bürger als Nutzer sollte an erster Stelle stehen und erst dann die Marktinteressen der Plattformen. Es gibt auch eine Debatte über die undurchsichtigen und diskriminierenden Algorithmen, die Technologieunternehmen zur Datenerfassung und Anzeigenschaltung einsetzen.
Für 2022 ist daher mit einem großen Richtungswechsel bei der globalen digitalen Transformation zu rechnen. Sowohl die europäischen Gesetze über digitale Dienste und Märkte, als auch die sich abzeichnende US-Gesetzgebung werden Präzedenzfälle für die weitere Entwicklung der digitalen Landschaft in der ganzen Welt schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass es sich hier um eine Wende zum Wohle der Nutzer und zum Schutz unserer Freiheiten und unserer Privatsphäre handelt.
Quellen: