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Sperrklausel beschlossen – Die Mär von der Handlungsunfähigkeit der Räte in NRW

Foto: Anke Knipschild
Foto: A. Knipschild

Der Nordrhein-Westfälische Landtag hat also am 10. Juni 2016 eine Sperrklausel (2,5%) bei Kommunalwahlen beschlossen.

Begründung: Die Zersplitterung der Räte und die damit verbundene, drohende Handlungsunfähigkeit. Leider konnte aber im gesamten Beratungsprozess kein einziger valider Nachweis für eine allgemein drohende Handlungsunfähigkeit für Nordrhein-Westfalens kommunalen Parlamente erbracht werden.

Vielmehr verhält es sich so, dass dies einfach nur der einzige Grund wäre, der einer verfassungsrechtlichen Prüfung des Gesetzes überhaupt standhalten würde. Also wiederholt man ihn so lange, bis man selbst daran glaubt.

„Als eine hinreichende Rechtfertigung akzeptieren die Verfassungsgerichte aber „nur die mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane“. Voraussetzung sind danach „valide empirische Untersuchungsergebnisse“, die die Annahme rechtfertigen, dass es infolge des Fehlens einer Sperrklausel zu erheblichen Funktionsstörungen durch Einzelmandatsträger kommt und es dabei nicht nur um 3 einzelne Gemeinden geht.“

Stellungnahme zum Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) von mehr Demokratie e.V.[1]

Also wurde die Ruhr-Universität Bochum beauftragt eine ebensolche „valide, empirische Untersuchung“ durchzuführen. Diese versendet einen Fragebogen[2] an die Bürgermeister (und nicht an die Fraktionen oder Mandatsträger) mit heiteren Fragen, ob die eigene Wahl zum OB durch Wählervereinigungen unterstützt wurde, ob man denn eine Mehrheit im Rat habe oder ob man fände, die Ratssitzungen dauerten zu lange.

Dann brauchte man nur noch genug Bürgermeister, die sich subjektiv über die viele viele Arbeit in der Verwaltung und die ewig dauernden Ratssitzungen beschweren, bedingt durch die angeblichen Antragsfluten von Kleinstfraktionen und Gruppen, und prompt hatte man einen ganz ausgezeichneten Beleg für die drohende Handlungsunfähigkeit in den kommunalen Gremien.

An dieser Stelle hätten wir dann mal eine Frage an das Ratsmitglied, das zufälligerweise auch noch stolze Besitzer eines Landtagsmandates ist, der Abstimmung aber entschuldigt fernblieb[3]:

Frau Lux (SPD), hat Sie die Sorge um die strukturelle Handlungsunfähigkeit des Stadtrats durch eine Handvoll Mandatsträger von der Teilnahme an der Abstimmung zum Demokratie-Abbau-Gesetz abgehalten? Oder blieben Sie etwa der Abstimmung fern, weil Sie die Handlungsunfähigkeit der Räte in NRW im Allgemeinen und vor allem in Leverkusen im Besonderen gar nicht gefährdet sahen? Hatten Sie etwa bereits zur Kenntnis genommen, dass dezente Überlängen der Ratssitzungen in unserer schönen Stadt durch Aktivitäten von fraktionsangehörigen Ratsmitgliedern entstehen[4]? Das würde uns gehörigen Respekt abnötigen.

Enttäuschend wie auch erhellend ist das weitere große Argument in der Debatte um den Gesetzesbeschluss: „Das kommunale Ehrenamt muss gestärkt und geschützt werden“. Das soll also geschehen, in dem Bürger mit Engagement, Eigeninitiative und frischen Ideen hübsch draußen gehalten werden?

Das einzige was hier gestärkt und geschützt werden soll sind die eigenen Pfründe. Die eigenen Mandate, Verwaltungsjobs, Aufsichtsratspöstchen oder ein Auskommen in den eigens dafür gegründeten Stiftungen, Vereinen und Verbänden oder kommunalen Unternehmen.

Demokratie ist Arbeit. Ihr könnt den einfachen Weg gehen, Arbeit vermeiden, alles verschlafen und dann lustige Videos mit schicken Autos[5] drehen und Euch fragen, warum das Land NRW so schlecht im Ländervergleich da steht. Damit stellt Ihr aber erst Recht eure Hilflosigkeit zur Schau auf die Belange dieser Gesellschaft sowohl im Hier und Jetzt als auch in der Zukunft einzugehen und die Welt zum Besseren zu gestalten.

Die Piratenpartei NRW wird handeln[6], und die Leverkusener PIRATEN beteiligen sich mit einer Spende[7] an der Klage.

Der Vorsitzende der Fraktion der Piratenpartei im Landtag, Michele Marsching, spricht im Zusammenhang mit der Sperrklausel von einem Demokratieabbaugesetz. [..] Mit dieser Verfassungsänderung werden die Stimmen all derer, die sich durch kleinere Parteien oder Einzelbewerber vertreten fühlen, in die Mülltonne geworfen. Die Stimmen dieser Bürger sind Grünen, SPD und CDU in Nordrhein-Westfalen nichts wert.[8]

Klarmachen zum Ändern!


Wer ein wenig Zeit hat, dem empfehle ich die Aufzeichnung der Debatte. (Plenarprotokoll)


Auch interessant:

Die Einführung der vorgesehenen Sperrklausel kann nicht mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit der gemeindlichen und kreislichen Selbstverwaltung in NordrheinWestfalen zu sichern, gerechtfertigt werden (1.2.1). Der Versuch, dem strengen Maßstab des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG durch Aufnahme der Sperrklausel in die Verfassung auszuweichen, ist untauglich (1.2.2).

Prof. Dr. J. Oebbecke
Kommunalwissenschaftliches Institut
Westfälische Wilhelms-Universität Münster

 

Die Entscheidung über die Einführung einer Sperrklausel im Kommunalwahlrecht für NRW ist eine politische Entscheidung und muss politisch getroffen werden.

Prof. Dr. Christoph Gusy
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte
Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Bielefeld

 

Die Verankerung einer Sperrklausel in der Landesverfassung erscheint bedenklich, weil Sperrklauseln Durchführungsbestimmungen des Wahlgrundsatzes darstellen, die sich, wie die Rechtsprechung zeigt, als höchst kontextabhängig, flexibel und veränderungsfreudig erwiesen haben und erweisen sollten. Sperrklauseln erfüllen den Zweck, anlassbezogen auf Dynamiken einer beeinträchtigten Zielerfüllung der freien Wahl oder auf Tendenzen ihrer Destabilisierung zu reagieren.

Prof. Dr. Emanuel Richter
Institut für politische Wissenschaft
RWTH Aachen

 

PS: Dieser Rant ist ein Remix von https://piratenpartei-rhein-erft.de/2016/06/16/sperrklausel-beschlossen-die-maer-von-der-handlungsunfaehigkeit-der-raete-in-nrw/.

[1] https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMST16%2F3348|1|0
[2] https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMST16%2F3344|1|0
[3] https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMPB16%2F116|1|1&Id=MMPB16%2F116|3|11
[4] http://www.leverkusen.de/rathaus-service/downloads/rathaus/zdA_Rat/z.d.A._Rat_Nr._6_vom_03.07.2015.pdf#page=11
[5] https://www.youtube.com/watch?v=v9DhHqpY_OU
[6] http://www.piratenpartei-nrw.de/2016/06/10/demokratie-ist-uns-etwas-wert-budget-fuer-verfassungsbeschwerde-gegen-sperrklausel-freigegeben/
[7] http://www.piratenpartei-nrw.de/mitmachen/spenden/
[8] https://fraktion2012.piratenpartei-nrw.de/2016/06/das-so-genannte-kommunalvertretungsstaerkungsgesetz/

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