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Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege in Leverkusen

Gurtsystem zur mechanischen Fixierung im Pflegebett (CC BY-SA 2.5 Ciell)
Gurtsystem zur mechanischen Fixierung im Pflegebett

Was sind freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege?

Mit freiheitsentziehenden Maßnahmen, auch als FEM abgekürzt, werden Menschen in ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Vorrichtungen, Materialien, Gegenstände oder auch Medikamente können dazu dienen, die Bewegung zu behindern oder zu unterbinden. Bundesweit wurden im Jahr 2012 über 85.000 freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege richterlich genehmigt (Quelle: Bundesjustizamt, Oktober 2013). Dazu gehörten vorwiegend mechanische Zwangsanwendungen wie Bettgitter oder Gurte.

Zu freiheitsentziehenden Maßnahmen zählen:

  • mechanische Fixierungen (z.B. hochgestellte Bettgitter, direkt am Körper angelegte Gurte, am Rollstuhl festgeschraubte Stecktische),
  • das Einsperren der Person (z.B. Absperren eines Zimmers oder Bereichs, komplizierte Schließmechanismen an Türen, hoch angebrachte oder komplizierte Knaufe),
  • sedierende Medikamente (z.B. Schlafmittel und Psychopharmaka) oder
  • die Wegnahme von Hilfsmitteln (Schuhe, Brille, Rollator).

Nicht als freiheitsentziehende Maßnahmen im Sinne des Gesetzes zu werten sind z.B. Fixierungsmaßnahmen, die auf Wunsch der betroffenen Person angewendet werden (etwa aus Angst, aus dem Bett zu fallen).

In der professionellen Pflege gilt, dass freiheitsentziehende Maßnahmen immer nur zum Wohl der Person angewendet werden dürfen, z.B. um erhebliche Gefahren für die Gesundheit abzuwenden oder um eine lebensnotwendige Untersuchung durchzuführen. Fixierungen zur Erleichterung der Pflege, zum Beispiel um den zeitlichen Aufwand für die Betreuung zu verringern, sind keinesfalls zulässig.

Anfrage

Die Piraten sind die Partei der Freiheit. Nichts greift stärker in dieses elementare Grundrecht ein als freiheitsentziehende Maßnahmen. Aus diesem Grund bat Pirat und Altenpfleger Oliver Ding den unabhängigen Ratsherren Manuel Lindlar,  folgende Anfrage an die Stadtverwaltung zu stellen:

Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Pflege

Bundesweit bemängeln Heimaufsichtsbehörden und Medizinische Dienste der Krankenkassen Defizite beim Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Pflege. Das Spektrum der eingesetzten Maßnahmen reicht von Sedierung durch Medikamente, Fest- oder Wegstellen von Rollstühlen, abgeschlossene Zimmertüren, festgeschraubte Stecktische an Rollstühlen, hochgezogene Bettgitter sowie das Festbinden mit Hilfe von Gurten (z.B. durch Bauchgurte, Hosenträgergurte sowie Diagonal- und Fünf-Punkt-Fixierungen, bei denen neben dem Bauch auch noch die Extremitäten durch Gurte festgeschnallt werden). Für freiheitsentziehende Maßnahmen, die nicht im rechtfertigenden Notfall und nur für kurze Zeit (insgesamt maximal 24 Stunden) angewendet werden, ist eine Genehmigung durch das Amtsgericht erforderlich, sonst handelt es sich um Freiheitsberaubung.

Körpernahe Fixierungen werden häufig unter dem Vorwand durchgeführt, dass dies ein vermeintliches Sturzrisiko senkt. Studien belegen jedoch das Gegenteil: Durch zunehmende Immobilität steigt das Risiko, zu stürzen, wenn die betroffene Person entfixiert wird, deutlich. Außerdem steigt durch solche körpernahen Fixierungen das Risiko schwerster Verletzungen (vor allem durch Quetschungen von Armen, Beinen, Bauch oder Hals), was auch bei vermeintlich vorschriftsgemäßer Anwendung immer wieder zu Todesfällen führt.

Ich habe in diesem Zusammenhang Fragen gemäß § 23 der Geschäftsordnung für den Rat der Stadt Leverkusen, seine Ausschüsse und die Bezirksvertretungen und § 4 Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW):

1. Wie viele freiheitsentziehende Maßnahmen durch Fixierung wurden bei Prüfungen von Heimaufsichtsbehörde und Medizinischem Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Leverkusen in den vergangenen Jahren festgestellt?

2. Für wie viele dieser Fixierungen lag weder eine richterliche Genehmigung noch eine schriftliche Einwilligung der betroffenen Person vor? In wie vielen Fällen führte dies zu welchen Sanktionen der Überwachungsbehörden?

3. Falls möglich, wie war das Verhältnis der körpernahen Fixierungen? Schlüsseln Sie die Zahlen bitte nach den verwendeten Arten auf: Gurt im Rollstuhl, Stecktisch am Rollstuhl, hochgestelltes Bettgitter, Bauchgurt, diagonale Fixierung, Fünf-Punkt-Fixierung.

4. Wie viele der geprüften Pflegeeinrichtungen haben konzeptionell vorgesehen, auf derlei Fixierungen zu verzichten, und konnten entsprechende Beratungen nachweisen?

Stellungnahme:

Zu 1.:
Die MDK-Prüfungen beinhalten bei allen zwölf Einrichtungen mit derzeit ca. 1.418 Bewohnerinnen und Bewohnern 100 Fälle von Fixierungen. In 2015 wurden vom MDK zehn Fälle überprüft, es gab keine Beanstandungen.
Zu 2. und 3.:
Bei jeder Pflegedokumentation, in der freiheitsentziehende Maßnahmen ein Thema sind, wird geprüft, ob in Fällen einer gewünschten freiheitsentziehenden oder freiheitseinschränkenden Maßnahme eine Einwilligung des Betroffenen oder des Betreuers oder aber in anderen Fällen eine gerichtliche Legitimation vorliegt. Es wurde leider statistisch nicht erfasst, ob eine gewünschte oder angeordnete freiheitsentziehende Maßnahme vorliegt. Meist finden gewünschte Fixierungen statt. Die Bewohnerin oder der Bewohner wünschen, dass das Bettgitter oder auch Bettschere genannt, besonders zur Nacht, hochgezogen wird, um ein Herausfallen zu vermeiden. Andere Fixierungen wie Bauchgurt, Schrittgurt und Stecktische am Rollstuhl sind selten. Dort liegt in der Regel eine gerichtliche Legitimation vor.
In der Praxis gab es Beanstandungen bei den gewünschten Bettgittern. Die Einwilligungen lagen nicht vor und wurden direkt bei der Betroffenen oder dem Betroffenen bzw. deren Betreuer eingeholt. Eine Klärung vor Ort war meist sofort möglich, schriftliche Rückmeldungen lagen spätestens einen Tag später vor und wurden von der Einrichtungsleitung schriftlich mitgeteilt oder in einer Nachprüfung kontrolliert. Bei einigen Fällen wurde auf den Einsatz des Bettgitters auch verzichtet.
Bei gerichtlich legitimierten Fixierungen war die Befristung abgelaufen und eine neue Legitimierung lag noch nicht vor. Hier wurde die Einwilligung wie zuvor genannt für den Überbrückungszeitraum eingeholt und die Verlängerung durch das Gericht der Behörde nach dem Wohn- und Teilhabegesetz und der dazugehörigen Durchführungsverordnung (WTG) sofort mitgeteilt.
Bei allen Fixierungen hat eine Kontrolle und Überwachung wie in den Konzepten festgelegten Zeiträumen zu erfolgen. Die Verantwortlichkeiten der Durchführung und der Überwachung sind in personellen Konzepten geregelt. Eine Fallbesprechung erfolgt auch bei vom Gericht auf einen längeren Zeitraum befristeten Legitimationen trotzdem in angemessenen Zeiträumen.
Eine Fixierung durch Medikamentengabe dürfte ausgeschlossen sein, da Medikamente nur aufgrund von ärztlichen Verordnungen gegeben werden. Auch über die Vergabe von verordneten Bedarfsmedikamenten ist ein Nachweis zu führen.
Die Praxis zeigt leider, dass ein vollkommender Verzicht aus gesundheitlichen und auch aufgrund von persönlichen Gründen der Betroffenen nicht möglich ist. Die Einrichtungen sind zu dem Thema sensibilisiert. Bisher konnte immer eine einvernehmliche Lösung vor Ort gefunden werden.
Zu 4.:
Im Rahmen des Qualitätsmanagements sind alle Einrichtungen nach dem WTG verpflichtet ein Konzept zur Vermeidung von freiheitsentziehenden und freiheitseinschränkenden Maßnahmen inklusive möglicher Alternativen zu erstellen. Dies ist bei allen Einrichtungen in Leverkusen der Fall. Alle Konzepte liegen vor und sind an die neuen Anforderungen des WTG angepasst. Eine Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 2015 erfolgte oder war in den Fort- und Weiterbildungsplanungen vorgesehen.
Im Rahmen des Qualitätsmanagements und der personellen Ausstattung wird überprüft, ob die Erfordernisse des WTG in der Konzeption berücksichtigt sind, ob die Aussagen angemessen umgesetzt werden und ob die getroffenen Aussagen in der Pflegeplanung angemessen dokumentiert sind.

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