Leverkusen

Warum unsere Ablehnung der Videoüberwachung kein Widerspruch zu den Möglichkeiten moderner Technik ist

Als im Frühjahr über die richtige Reaktion auf einen Überfall am Küppersteger Bahnhof diskutiert wurde, begrüßten die Leverkusener PIRATEN, dass die Deutsche Bahn die von uns abgelehnte Installation von Überwachungskameras in Küppersteg ebenfalls ablehnte. Unsere damalige Stellungnahme wurde hingegen vom Leverkusener Ratsherr Friedrich Busch kritisiert, weil die Ablehnung von Kameraüberwachung im öffentlichen Raum im Widerspruch zu unserer Forderung nach dem „Prinzip der Öffentlichkeit“ stünde. Wir möchten daher – wenn auch mit Verspätung – etwas richtigstellen:

Freiheit statt Angst: Überwachungskameras und Seifenblasen (Robert Agthe, CC-BY)
Die von der Piratenpartei geforderte Transparenz bezieht sich auf das Staatswesen, nicht auf den Bürger. Es sind vor allem intransparente Beschlüsse und Aktionen des Staates bzw. von Behörden, die der Bürger, der seine Mitbürger in die Parlamente gewählt hat und in dessen Auftrag diese Abgeordneten handeln, nicht mehr nachvollziehen kann. Transparenz dient in diesem Sinne der Mitwirkung und dem Verbraucherschutz, weil eine bessere Rückkoppelung der politischen Aktivität an das Volk, von dem in unserer Demokratie alle Staatsgewalt ausgeht. Ein Bürger, der weiß, was die von ihm gewählten Abgeordneten tun, kann Ihnen auch viel schneller mitteilen, wie zufrieden er mir Ihren Handlungen ist. Das dient natürlich auch dem gewählten Abgeordneten.

Auf der anderen Seite steht der Schutz der Privatsphäre, der ein Freiheitsrecht ist. Dieses Freiheitsrecht ist ein Recht zum Schutz vor staatlichen Übergriffen. Es dient nicht dazu, den Staat vor seinen Bürgern zu schützen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das aus Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 1 Abs. 1 GG abzuleiten ist, hat bei uns PIRATEN, die bzgl. des Grundgesetzes durchaus sehr konservativ sind, einen sehr hohen Stellenwert.

Im Wahlprogramm zur Landtagswahl 2012 befindet sich unser Standpunkt zur Videoüberwachung etwas ausführlicher formuliert. Auch unsere FAQ gibt zahlreiche Argumente dafür, warum Videoüberwachung abzulehnen ist. Es gibt entgegen der Behauptung, wie effektiv Videoüberwachung sei, zahlreiche Studien, die das Gegenteil nahelegen. So hat z.B. die Videoüberwachung im ÖPNV in Berlin trotz der vorherigen Behauptung keineswegs zu einer nennenswerten Verringerung der Gewaltdelikte geführt. Die einzige abschreckende Funktion, die Kameras haben, ist die, dass geplante Taten nicht in der von der Kamera überwachten Bereichen stattfinden, sondern anderswo. Da jedoch so gut wie alle Gewaltdelikte und viele Sexualdelikte im Affekt geschehen, werden die Täter vor der Tat die Existenz einer Kamera oftmals überhaupt nicht wahrnehmen. Diese Schutzwirkung ist also vornehmlich eine behauptete. Dies wird auch in einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen bestätigt.

Videoüberwachung kann Gewalt nicht nur „nicht grundsätzlich“, sondern „grundsätzlich nicht“ verhindern. So hat z.B. die Rundumüberwachung in der bestüberwachten Stadt der westlichen Welt, nämlich London, die 2011er Riots nicht einmal ansatzweise verhindern können. Die damaligen Gewalttäter haben sehr genau wissen müssen, dass sie auf Dutzenden Kameras aufgenommen werden.

Dass es vorkommt, dass der Täter aufgrund von Videoaufnahmen dingfest gemacht werden kann, ist uns bekannt. Bei der nachträglichen Aufarbeitung der Londoner Gewaltexzesse wurden Aufnahmen des CCTV und private Handy-Aufnahmen genutzt, um Täter ausfindig zu machen. Die im Nachgang als zum Teil völlig übertrieben erscheinende Zurschaustellung von aus dem Kontext gerissenen Bildern z.B. in Tabloids und auf durch die Stadt fahrenden Fahrzeugen sorgte für ein Klima der Denunziation. Die Bilder selbst hatten ohne den begleitenden Kontext jedoch nur geringe Beweiskraft, weil auch zufällig dabeistehende Personen abgefilmt werden konnten.

In London stieg die Kriminalität trotz der flächendeckenden Überwachung in den letzten Jahren kontinuierlich an. Den Nutzen der Überwachung zur Aufklärung von Delikten bezeichnete der Leiter der Abteilung Video-Überwachung bei Scotland Yard 2009 hingegen als „ein Fiasko“.

Dies zeigt sich auch in der in Deutschland festgestellten Aufdeckungsquote aufgrund zufällig gefilmter Delikte, die ebenfalls im verschwindend geringen Bereich liegt. In Berlin herrscht eine wahre Flut von Bildmaterial, bei dem gefilmte Täter i.d.R. nicht erkannt werden. Auf gerade mal 2,1% der Aufnahmen von Gewaltdelikten konnten Täter erkannt werden. Somit sind dies bestenfalls Zufallstreffer, die das durch die ausufernde Kamerapräsenz entstehende Überwachungsgefühl keineswegs rechtfertigen.

Zusammengefasst gilt also, dass unsere Ablehnung von Kameraüberwachung im öffentlichen Raum gerade nicht im Widerspruch zu den technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts steht, sondern sich im Gegenteil aus dem Wissen um deren negativen Nutzungsmöglichkeiten geradezu aufdrängt.

Klarmachen zum Ändern!

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